Das Herz ist ein Organ wie Lunge, Niere oder Schilddrüse, gleichzeitig ist es ein geniales “Messinstrument”. Am Herzschlag lässt sich ablesen, wie gut das Herz das Blut durch den Körper pumpt. Er gibt aber nicht nur Auskunft über die Arbeitsleistung, sondern liefert auch Einblicke, wie der Körper mit physischen und psychischen Belastungen umgeht. Wie das möglich ist, erklärt sich aus der Art, wie verschieden das Herz schlagen kann.
In einem Blog über Herzratenvariabilität (HRV) darf ein Beitrag über das Herz nicht fehlen. Der Herzschlag ist schließlich die Basis für jede HRV-Messung. Wie er zustande kommt, erklärt, warum das Herz auch ein Gesundmacher und ein Glücksmuskel ist. Anhand der Erregungsleitung wird verständlich, wieso sich unser Lebensfeuer und unsere Intelligenz mit ihm messen lässt.
Ein besonderer Muskel
Jede Minute vollbringt das Herz eine gewaltige Leistung. Das Herz nur als fleißigen Muskel abzutun, der Blut durch den Körper pumpt, wäre falsch. Während die Skelettmuskulatur mit willkürlichen Bewegungen vom Gehirn geleitet wird, steht die Tätigkeit des Herzmuskels nur bedingt unter dem Einfluss des Bewusstseins. Ich schränke die Unabhängigkeit ein, weil man über die Atmung den Herzschlag verändern kann.
Gegenüber dem Gehirn besitzt und braucht das Herz die Autonomie, um den Kreislauf aufrechtzuhalten. Ein raffiniertes Erregungsleitungssystem kombiniert mit der Steuerung des vegetativen Nervensystems (VNS) ermöglicht es, dass das Herz flexibel auf Lebenssituationen reagieren kann.
Taktgeber Sinusknoten
Schon wenige Tage nachdem sich Eizelle und Spermium verbunden haben, beginnen die ersten Zellen zu pulsieren. Ohne Unterbrechung wird das Herz dann bis zu drei Milliarden Mal den Rhythmus des Lebens bestimmen (aber nur, wenn Sie im Alter von 70 Jahren noch ein gesundes Herz haben). Was den Impuls des Herzschlags auslöst, ist übrigens bis heute noch nicht ganz geklärt.
Der Sinusknoten gibt den Takt und die Geschwindigkeit den Herzmuskelzellen vor. Als einen richtigen Knoten, der sich ertasten lässt, darf man sich den Steuermann des Herzens nicht vorstellen. Vielmehr handelt es sich um eine kirschkern-große Ansammlung von spezialisierten Zellen im rechten Vorhof. Sie werden auch als Schrittmacherzellen gezeichnet, weil sie die elektrischen Impulse erzeugen, die das Herz zum Schlagen bringen.
Ganz allein ist der Sinusknoten nicht in der Lage den kompletten Herzmuskel zu erregen. Das sogenannte Herzskelett, eine Bindegewebsplatte, trennt Vorhöfe und Kammern nicht nur, sondern isoliert sie auch noch elektrisch voneinander. Der Atrioventrikularknoten (AV-Knoten), in der Scheidewand der Vorhöfe nahe zur Grenze der Kammern, ist die einzige elektrische Verbindung zwischen Vorhöfen und Kammern. An ihn leitet der Sinusknoten die Erregung weiter.
Die Backup-Schrittmacher
Im AV-Knoten werden die elektrischen Reize des Sinusknoten gebündelt und über die His-Bündel und Tawara-Schenkel bis zur Herzspitze weitergeleitet. Durch dieses Erregungsleitungssystem erfolgt die Übertragung auf die Kammern zeitlich verzögert nach den Vorhöfen.
Würde der Sinusknoten ausfallen, könnten AV-Knoten und His-Bündel als Schrittmacher fungieren. Sie haben auch die Fähigkeit einen elektrischen Impuls zu erzeugen. Da sie viel langsamer sind, wird ihre Schrittmachertätigkeit in einem gesunden Herz nicht gebraucht, weil sie immer von der höheren Frequenz des Sinusknoten übertroffen werden.
Ein Leben mit der Eigenfrequenz
Stellen Sie sich vor, Sie hätten nur die Eigenfrequenz des Herzens zur Verfügung: Sie würden ein recht ruhiges Leben führen. Mit etwa 70 Schlägen pro Minute können Sie sich physisch und psychisch keine großen Extras leisten. Die meisten sportlichen Betätigungen fallen weg, weil sie zu anstrengend sind, eventuell würde es für eine Teilnahme bei der Senioren-Stuhlkreis-Gymnastik reichen. Wenn Sie kein Leistungssportler sind, sollten Sie auch Ihre Gefühle im Griff haben. Vorsicht geboten ist auch beim Sex und beim Gang zur Toilette.
Der Eigenrhythmus wird vom Herz selbst ausgelöst, was ihm eine gewisse Unabhängigkeit vom Rest des Organismus gibt. Ohne Verbindung zum Körper könnte das Herz auch außerhalb des Körpers noch eine Weile weiterschlagen. Andersherum klappt es allerdings nicht: Ein kurzes Aussetzen seiner Schlagtätigkeit im Körper würde innerhalb von Sekunden zum Verlust des Bewusstseins führen.
Die Anpassungsfähigkeit des Herzschlags
Der Sinusknoten gibt von sich aus einen festen Takt vor, agiert aber keinesfalls unabhängig. Er kann das Herz nicht schneller oder langsamer schlagen lassen. Für die Veränderung der Herzfrequenz ist das VNS zuständig. Seine beiden Anteile, Sympathikus und Parasympathikus, ermöglichen die Anpassung des Herzschlags für den Sprint zum Bus oder beim Entspannen mit klassischer Musik. Sie sind die einzige Verbindung zwischen Herz und Hirn.
Man könnte nun meinen, dass der Sympathikus die Herzfrequenz schnell nach oben treibt, im Anschluss der Parasympathikus seinen hemmenden Einfluss ausübt und beide gleichermaßen an dem Vorgang beteiligt sind – indem beide “am gleichen Strang ziehen”. Dies ist so nicht der Fall. Sympathikus und Parasympathikus “ziehen an unterschiedlichen Strängen”, und das auch noch mit unterschiedlicher Geschwindigkeit. Die raschen Veränderungen des Herzschlags werden in erster Linie über die Nervenbahnen des Parasympathikus bewirkt.
Der Parasympathikus kann schneller reagieren
Die Beschaffenheit der Nervenverbindungen ist ein Grund für das unterschiedliche Reaktionsvermögen. Die Myelinisierung der Vagus-Fasern des Parasympathikus bietet eine zehnmal schnellere Weiterleitung von Steuerungssignalen als dies bei den unmyelinisierten Sympathikusfasern der Fall ist. Ein weiter Grund sind die verschiedenen Überträgersubstanzen.
Der Parasympathikus arbeitet ausschließlich mit dem Neurotransmitter Acetylcholin. Beim Sympathikus erfolgt die Übertragung auf das Herz letztendlich durch den Botenstoff Noradrenalin. Die Eigenart dieser Reizübertragung ist jedoch, dass kein schneller Abbau des Noradrenalins am Empfängerrezeptor stattfindet, sondern eine etwas langwierigere Rückführung zum Sender-Nerv erforderlich ist. Dies kostet im Vergleich zum Acetylcholin mehr Energie und Zeit, denn Acetylcholin wird am Empfängerrezeptor für eine weitere Reizübertragung schnell abgebaut. Am Zielorgan Herz verwenden die beiden Neurotransmitter zudem unterschiedliche Rezeptorarten im Sinusknoten.
Beides, die unterschiedliche Nervenbeschaffenheit und die verschiedenen Neurotransmitter, hat zur Folge, dass die chemischen Abläufe bei der Steuerung des Herzschlags unterschiedlich schnell ablaufen.
Verschiedene Überträgersubstanzen machen den Unterschied
Die parasympathischen Nervenbahnen leiten den Aktivierungsimpuls rasch und ohne Verzögerung weiter. Die Reaktion am Sinusknoten erfolgt bereits nach einer halben Sekunde. Fast genauso schnell, innerhalb einer Sekunde, kann die Reizausübung auf den Sinusknoten auch wieder abklingen. Beim Sympathikus laufen die Aktivierungsprozesse hingegen sehr viel langsamer ab. Die Aktivierung benötigt etwa vier bis fünf Sekunden, um den Sinusknoten zu beeinflussen. Noch schleppender verläuft das Abklingen der Reizausübung. 15 bis 20 Sekunden vergehen, bis das Ausgangsniveau wieder erreicht ist.
Pause für das Herz
Wie wichtig der schützende Mechanismus des Parasympathikus ist, lässt sich am besten mit seiner Wirkung beschreiben. Ohne den Einfluss des vegetativen Nervensystems hat ein gesundes Herz einen Puls von etwa 70 Schlägen pro Minuten. Wird der Parasympathikus aktiv, verringert sich die Pulsrate. Das Herz muss weniger arbeiten. Durch die Reduzierung sinkt der Sauerstoffbedarf, weniger Muskelkraft ist nötig bei gleicher Funktion der Herzkammern. Die Verlangsamung wirkt sich auf die Erregungsleitung aus, was zu einer längeren Überleitzeit für die Erregungsübertragung im Herzen führt. Die Herzkammern bekommen mehr Zeit zur Erholung. Körpereigene Schutzprogramme können besser vor Ablagerungen und Entzündungen bewahren. Eine geringere Herzrate und weniger Schlagvolumen schützen auch vor Bluthochdruck und senken das Risiko für Arrhythmien (Herzrhythmusstörungen).
Mein Fazit
Das Herz ist ein zentrales Organ, darüber gibt es keinen Zweifel. Aber das gilt nicht nur wegen seiner Bedeutung im Blut- und Stoffkreislauf. Es hilft auch Rückschlüsse auf das Wirken eines anderen zentralen Körpersystems ziehen zu können, das sich unserem Willen und Bewusstsein entzieht, aber viele wichtige Körperfunktionen steuert: das vegetative Nervensystem. Wegen der Einflussnahme des VNS auf das Herz lässt es sich als Messinstrument des VNS nutzen. Die Veränderungen des Herzschlags zeigen nicht nur, wie fit das Herz ist, sondern auch, ob es Störungen im VNS gibt, die sich zu verschiedensten Krankheiten entwickeln können.
Liebe Frau Franke-Griksch,
vielen Dank für diesen – wie immer – sehr fundierten und verständlichen Artikel. Ihre Artikel werden montags vom ganzen Team bereits ‘erwartet’ und verschlungen :-).
Bitte weiter so!
Michael Lutz
BITsoft